Die Geschichte von den drei Hasen
Es waren einmal drei Hasen, die jeden Tag zum
lieben Gott um die Erfüllung ihres Herzenswunsches beteten:
Dereinst in den Himmel zu kommen. Der erste Hase hatte ein
braunes Fell, der zweite war weißgefleckt, der dritte war weiß
und hieß » Schnee «. Die drei Hasen hingen sehr aneinander, und
was einer tat, taten die anderen beiden auch. Viele Stunden
waren dem Gebet geweiht, aber um nicht zu verhungern, mussten
sie auch für ihre Nahrung sorgen.
In ihren drei Höhlen lebten sie so viele Jahre
ihr gottesfürchtiges Leben. Ihre Gebete reichten bis in den
Himmel, und Gott beschloss, ihre Frömmigkeit zu belohnen. Doch
obwohl er sie kannte, wollte er sie auf die Probe stellen. Also
sprach Gottvater zum Mond: »Du brauchst heute nacht erst um
zwölf Uhr zu scheinen, gehe also davor ins Himalajagebirge,
suche die drei Hasen und bitte einen jeden, deinen Hunger zu
stillen. Wenn du bei allen dreien gewesen bist, komm dann zurück
und berichte mir. «
Der Mond gehorchte und ging zuerst zum braunen
Hasen. Der bereitete sich gerade seine Mahlzeit, und als er sah,
dass der Mond vor seiner Höhle stand, lud er ihn freundlich ein,
das Mahl mit ihm zu teilen.
Der Mond bedankte sich und ging zum zweiten
Hasen. Als der jemanden kommen hörte, rief er aufgeweckt: »
Willkommen, Freund! « Als der Mond ihm erzählte, warum er
gekommen sei, sagte der Hase: » Gerne würde ich dir etwas zu
essen geben, aber... ich habe heute zu lange gebetet und darum
vergessen, mir etwas zu essen zu machen. Wenn du einen Moment
wartest, hole ich etwas. « Und als er etwas zusammengesucht
hatte, gab er alles dem Mond. Danach kam der Mond zuletzt zum
dritten Hasen, zu Schnee. Er musste mehrmals anklopfen, doch
endlich kam der Hase, der in ein tiefes Gebet versunken war, und
begrüßte ihn.
»Ich suche jemanden, der mir etwas zu essen geben
kann«, sagte der Mond. »Nach der langen Reise über die
verschneiten Gipfel bin ich sehr müde und hungrig.« » Ruhe dich
ein wenig aus «, sagte Schnee, » in der Zwischenzeit werde ich
versuchen, etwas für dich heranzuschaffen. «
Der Mond hockte sich in den Eingang der Höhle.
Der Hase durchsuchte inzwischen seine Vorratskammer. Doch o weh!
Schon seit Tagen hatte er keine Nahrung mehr gesucht, so tief
war er in Gebete versunken gewesen. Schnee dachte an ein
Sprichwort: »Wer einen Gast beherbergt, ihm den Hunger nicht
stillt und den Durst nicht löscht, der hat vergebens zu Gott
gebetet.« Was sollte der arme Hase nun machen? In diesem
schwierigen Moment hatte er einen erlösenden Einfall. Er ging
nach draußen, entzündete ein Feuer und lud den Gast ein, es sich
bei den lodernden Flammen gemütlich zu machen. Dann sagte er:
»Herr, ich habe in den letzten drei Tagen soviel gebetet, daß
ich keine Nahrung suchen konnte, also habe ich auch nichts im
Haus, was ich Euch anbieten könnte. «
Der Mond antwortete ärgerlich: »Dann gehe ich
wohl wieder, und an deinem Feuer will ich auch nicht sitzen. «
» O bleibt, bitte! « rief Schnee. » Ist es Euch
gleich, welches Fleisch ich Euch anbiete? «
Der Mond antwortete: » Da ich nun sehe, wie ernst
du es meinst, werde ich jedes Stück Fleisch essen, das du mir
anbietest. «
»Wohlan«, sagte Schnee erfreut. » Doch da ich
nichts anderes habe als mich selbst, werde ich nun meinen
eigenen Leib ins Feuer werfen, dann habt Ihr ein Mahl, Euren
Hunger zu stillen! «
»Nein! « rief der Mond erschrocken. » Nein, tu
das nicht! «
Aber es war zu spät. Bevor der Mond es verhindern
konnte, war der Hase schon in die Flammen gesprungen. Kein
Schrei ertönte, der selbstgewählte Tod wurde von keinem Geräusch
begleitet.
Nach dieser dritten Begegnung flog der Mond
zurück zum Himmel. Dort fand er in Gottes Schoß einen schönen
weißen Hasen, und Gott sprach » Siehe diesen Hasen, Mond, der
sich opferte und für dich ins Feuer sprang. Wie soll ich seine
Selbstaufopferung belohnen? «
Da bat der Mond: » Herr, gebt mir den Hasen zum
Freund und Gefährten. Ich werde ihn stets bei mir haben, wohin
ich auch gehe. «
» Deine Bitte sei erhört«, antwortete der Vater.
» Wenn du deinen Glanz auf die Erde niederstrahlst, dann lass
den Hasen mit dir glänzen, so dass alle Menschen ihn sehen und
sich an seiner Frömmigkeit und seiner Selbstaufopferung ein
Beispiel nehmen können. «
Seit dem Tage kann man den Hasen im silbernen
Licht des vollen Mondes sehen, doch am allerbesten sieht man
ihn, wenn im Frühling der Ostermond am Himmel steht.
Verfasser
unbekannt
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