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Eisblumen
von Sophie Reinheimer
Nun war draußen nirgendwo mehr eine bunte Blume zu sehen, die Beete
im Garten waren mit Tannenzweigen zugedeckt, die Rosenstöcke hatten
eine warme Strohkapuze über den Kopf bekommen, und auch die
Blumenstöcke vorm Fenster waren verwelkt, und man hatte sie
fortgenommen.
"Schade", sagte das Sofa, das so recht behaglich hinter dem großen
Esstisch in der Stube stand und gerade auf das Fenster sehen konnte.
"Es war so hübsch, wenn die Blumen uns zunickten und uns erzählten,
was draußen auf der Straße vor sich ging." Die anderen Möbel fanden
das auch. Der Tisch meinte zwar, man solle nicht klagen, denn jetzt
fange die gemütliche Zeit für die Stube eigentlich erst an! Im
Sommer liefen die Menschen alle fort - hinaus in Garten, Wald und
Feld. Im Winter aber blieben sie hübsch in der Stube zusammen,
erzählten sich was oder lasen sich was vor, und so hörten sie - die
Möbel - doch eigentlich noch mehr als von den Blumen.
Das war wahr. Aber - schöner hatte die Stube doch mit den Blumen
ausgesehen, das war ganz sicher. -
Nun hört, was ein paar Wochen später eines Morgens den Möbeln für
eine große Überraschung aufblühte.
Es war bitterkalt draußen, und auch in der Stube war es in der Nacht
so kalt geworden, dass die Möbel die Betten in der Schlafstube
beneideten, die sich so schön mit warmen Federkissen zudecken
durften. Da - als der Schrank eben aus dem Schlaf erwachte, tat er
vor Verwunderung einen lauten Knacks.
Die anderen Möbel wachten alle davon auf, und was sahen sie? Das
ganze Fenster war von oben bis unten mit einer schneeweißen,
glitzernden Eiskruste bedeckt. Es war kein gewöhnliches, glattes
Eis. Ganz sonderbare Gebilde waren darauf zu sehn - wie Blumen,
Blätter, Stiele, aber alles ganz durcheinander - manchmal schwer zu
erkennen.
"Was ist das nur?" fragte ganz leise das Sofa. Es war ganz benommen
von der weißen Glitzerherrlichkeit. "Ist der Glaser vielleicht heute
nacht da gewesen und hat heimlich andere Scheiben eingesetzt?"
"Vielleicht ist`s hier so ähnlich wie im Häuschen der Hänsel - und -
Gretel - Hexe", meinte der Spiegelschrank. "Die Hexe, die in mir
steht, wird die Scheiben in Zucker verwandelt haben."
Bei dem Wort "Zucker" machte die kleine schwarze Fliege, die auch
mit in der Stube wohnte, sich schleunigst auf den Weg. Aber ganz
enttäuscht kam sie bald zurückgeflogen. "Nein - es ist kein Zucker",
sagte sie. "Es schmeckt auch nicht ein bisschen süß! Aber so rau
ist`s wie Zucker, das ist wahr."
"Ich glaube, dass es Blumen sind", sagte das Gießkännchen. Das
Ofenrohr, das immer gleich ein bisschen oben hinaus war, sagte zwar:
"Ach - schwätzen Sie doch kein Blech!" Aber alle anderen in der
Stube gaben dem kleinen Gießkännchen recht.
Ja - wer hatte diese seltsamen schneeweißen Blumen aber nur so in
aller Herrgottsfrühe ans Fenster gezaubert? Die Möbel hätten es gar
zu gerne gewusst! Aber das Fenster - das einzige, das doch darüber
hätte Auskunft geben können - das war ganz starr und stumm, man
wusste nicht, war es das vor lauter Entzücken oder hatte es jemand
mit den weißen Blumen gleich mitverzaubert.
Horch - da klang plötzlich von der Straße her ein Lied:
"Der Winter hat heut über Nacht
Viel Blumen mitgebracht.
Eisblumen sind`s, Eisblumen sind`s -
Habt ihr`s euch nicht gedacht?
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