Chamäleon


 

An einem stürmischen, regnerischen Dezemberabend saß ein junger hübscher Mann in seiner kleinen Stube, und war eben damit fertig geworden, den Christbaum für seine zwei jüngeren, noch unmündigen Geschwister auszuschmücken.
Sinnend weilte sein Blick auf dem mit Streifen, Schlingen, Ketten und Körbchen aus farbigen Papier gezierten Bäumchen, an das er mit Bindfaden die bunten kleinen Sächelchen geheftet hatte, die er heimlich, wie er das ganze Werk betrieb, schon seit einer Woche eingekauft hatte.
Wie er so den Eindruck des Ganzen in sich fasste, tat es ihm wohl, wenn er der herzinnigen Freude gedachte, welche von diesem Bäumchen mit dem Geflatter lustiger Vögel auf seine Geschwister einstürmen sollte.
Aber plötzlich strich eine Wolke der Wehmut über die hohe, edle Stirn des jungen Mannes, und feucht wurden seine Augen.
Es war ihm als hinge mitten unter dem schimmernden, flimmernden Kram des harzduftenden Bäumchens seine eigene Jugend, und blinkte ihm im Schein der Erinnerung wie ein Geschenk des heiligen Christ entgegen.
"Wie schön war jene Zeit!" murmelte er. "Wie glücklich war ich! ... Ach! damals lebte mein guter, guter Vater noch! Damals standen Mutter, und Else und Fricke noch nicht allein auf der weiten Welt, und die Sorgen um sie presste mir noch nicht das Herz zusammen, und ich wusste noch nicht, wie schwer es einem wird, im Tumulte der ringenden Welt nicht nur sich und anderen, die man liebt, das Leben zu fristen! ..."
Tief seufzte er auf und krampfhaft ballten sich seine Hände.
Wild begannen die Gedanken in seinem Gehirn zu toben.
Wie gering, wie mühsam erkämpft waren die bisherigen Resultate seiner rastlosen Studien und Bestrebungen! ...
Wie fühlte er sich zurückgesetzt, je entehrt gegen andere, die ihm an Talent, Kenntnis und Triebkraft weit, weit nachstanden, und auf verächtlichen Winkel- und Seitenwegen ihm längst zuvorgekommen waren, und höhnisch auf ihn blickten, der sich vorgenommen den Weg des Verdienstes zu gehen, der so weit, so unendlich lang ist, bis er an’s Ziel führt! ... Eine fieberhafte Röte stieg in die seinen, durchsichtigen Wangen des jungen Mannes, Kühlung suchend fuhr er mit der kalten Hand über die glühend heiße Stirne und träumerisch, fast irre, starrte er vor sich hin.
Da war es ihm als kicherte es in seiner Nähe, aber mit einer so kleinen, dünnen Stimme, als käme sie von einem Kind, das nicht größer als sein Gliederpüppchen sein könnte. Zugleich sah er, wie der Deckel eines kleinen, bemalten Kistchens aufsprang, das er mit anderen Spielsachen zuletzt an den Baum befestigt hatte.
Das an einer Feder im Bodens des Kistchens befestigte Männlein sprang in die Höhe und sah ihn freundlich grinsend an.
War das ein sonderbares Männchen!
Es war in altspanischer Hoftracht gekleidet, trug ein blutrotes, goldverbrämtes Samtmäntelchen, ein schwarzes Hütlein mit wehender, schimmernder Feder, und einen Degen mit einem smaragdenem Griff.
Das Gesicht aber des Figürchens war das merkwürdige daran.
Es war schön, und widerlich zugleich, es schien zu lächeln und grimmig zu drohen, es trug den Ausdruck lustiger Verschmitztheit und düsterer Begierde, es weckte Vertrauen und erregte Furcht und Entsetzen.
Dieses Gesicht trug ein merkwürdiges Gemisch kontrastierender Ausdrücke in sich, dass es Schwindel erregte, wenn man es scharf und in seiner Totalität erfassen wollte.
Was aber diesem Antlitze und der ganzen Gestalt vollends den Charakter des Unheimlichen, Geisterhaften, und sagen wir lieber des dämonischen verlieh, das waren die kleinen stechenden, tierklugen, leuchtenden Augen, welche ruhelos in allen Farben spielten.

 

Moritz Barach